Niki Eideneier - Kyro Ponte

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Interviews
Foto: © aus dem Privatarchiv


Die Vielstimmigkeit und die Vielfalt garantiert nicht nur die Würde des einzelnen Menschen und seines Herkunftslandes, sondern sie schafft und fördert die gegenseitige Achtung voreinander, die einzige stabile Basis für den Frieden. Und ich glaube und plädiere seit Jahren dafür mit dem Spruch „lernt das Land durch seine Literatur kennen“, womit ich genau das Gegenteil des Tourismus meine.

Interview mit Niki Eideneier-Anastassiadi


 
Frau Eideneier, Sie sind in Kilkis geboren, eine kleine Stadt nördlich von Thessaloniki. Die Stadt war bis 1913 mehrheitlich von Bulgaren und Türken besiedelt. Gab es in der Ortschaft, wo sie groß geworden sind, noch Spuren aus der multikulturellen Vergangenheit dieser Stadt?

Eideneier: Ja und nein. Die Stadt, das Städtchen wurde sozusagen zunächst evakuiert, alle Bulgaren sind nach 1913 weggegangen (worden), und es wurden Baugrund und Ländereien den Flüchtlingen aus Pontos und dem Kaukasus, wie auch den Stenimachiten und Stromnitsioten, den Flüchtlingen aus den entsprechenden Städten in Bulgarien, verteilt. Die Familie meines Vaters kam zu dieser Zeit aus Kars - damals Russland, sie waren Pontier aus Trapezunt, die früher von den Türken in den Kaukasus vertrieben wurden, also sie sprachen reines Pontisch, diesen alten griechischen Dialekt, und sie fühlten sich als pontische Griechen, obwohl man sie Kaukasier nannte. Mein Vater kam mit drei Jahren nach Kilkis, der Großvater war und blieb bis zu seinem Tod Bauer, meine Großmutter ebenfalls bis ins hohe Alter, während alle Familienmitglieder, - die Großmutter hatte 10 Kinder auf die Welt gebracht gehabt, sechs haben überlebt –auf den Feldern mitgearbeitet haben vor und auch während ihrer Ausbildung bzw. Studiums. Meine Mutter wiederum kam als 20jährige Frau aus ihrer Heimat Patras als Lehrerin nach Kilkis, wohin sie geschickt worden war, um „den Pontiern Griechisch beizubringen“, wie es damals hieß. Sie hat meinen Vater kennen gelernt und ist in Kilkis geblieben! So wurde ich und meine viel jüngere Schwester dort geboren. Ich erwähne das alles, um klar zu machen, dass es in Kilkis keine „multikulturelle Gesellschaft“ gegeben hat im heutigen Sinne. Und trotzdem: Da die Menschen aus so unterschiedlichen Kulturen stammten und solch verschiedene Mentalitäten aufwiesen, war Kilkis im Grunde doch eine multikulturelle Stadt, auch wenn die verschiedenen Gruppierungen in verschiedenen „machalades“, also mehr oder weniger von einander getrennten Wohnvierteln lebten, und nicht immer gut miteinander auskamen bei gemeinsamen Lebensbereichen, die es automatisch doch gab. Es gab Rivalitäten im Geschäftsleben, bei gelegentlichen gemischten Ehen, bei den Fußballvereinen, ja sogar in der Schule, die sogar ich einige Jahre später noch zu spüren bekam. Und trotzdem oder deswegen: Die Menschen, die Kilkis zu ihrer erzwungenen oder gewählten zweiten Heimat gemacht hatten, haben viele Vorteile aus diesem Zusammenleben, auch aus dieser Konfrontation mitbekommen, die sich in ihrem Charakter, in ihrem Werdegang, in ihrer Toleranzfähigkeit widerspiegelte. Es war gut in Kilkis und sehr gut, daran erinnert zu werden.

Sie kamen als junge Frau in München. Welche waren Ihre ersten Eindrücke von Deutschland?

Eideneier: Ich war in der Tat sehr jung, aber auch nicht zu jung, um nicht vorbereitet gewesen zu sein. Ich hatte meinen späteren Ehemann während des Studiums in Thessaloniki kennen gelernt, wo er als Stipendiat ein Jahr lang mit uns griechische Philologie studierte. Ich lernte schon damals Deutsch, erfuhr einiges über Deutschland und kam schon in Griechenland mit der Denkweise der Deutschen in Berührung. Als es soweit war und ich meinen ersten Besuch in Stuttgart abstattete, wobei ich die Familie meines damaligen „Freunds“ besuchte, war ich begeistert von deren Akzeptanz und Bereitschaft, mich in ihren Schoß aufzunehmen. Als ich dann, nach dem Ende meines Studiums in Griechenland, mit einem Stipendium hierher kam, fühlte ich mich wie im "Paradies". Dieses Gefühl, aus dem engen Kreis einer eher kleinbürgerlichen, sehr strengen Familie, die auf ihre Töchter mit Argusaugen aufpasste, auszubrechen und mich in die völlige Bewegungsfreiheit zu begeben, war wunderbar. Die Universität in München: riesig und schön und in unserer Fakultät nur wenige Studentinnen und Studenten in überschaubarer Zahl, und bei einem Professor, der zwar es mit dem Wissen sehr ernst meinte, aber jede Woche die Studenten einzeln empfing, um sich nach dem Fortschritt ihrer Arbeit zu informieren; bei einer einmaligen Gelegenheit, eine reiche Bibliothek zu benutzen; es war ja auch ein wunderschöner langer Sommer mein erster Sommer in München und trotzdem blieb alles frisch und grün. Später sagte meine Mutter bei ihrem Besuch in Deutschland: Aber Kind, habt ihr denn keine andere Farbe in diesem Land als grün? Diese Frage hat mich lange beschäftigt, indem ich sie auch oft symbolisch interpretierte. Mein anfänglich uneingeschränkter Enthusiasmus relativierte sich mit der Zeit, aber es war eine sehr gute Ausgangsposition, die mich bis heute begleitet und mir über manche Enttäuschung hinweggeholfen hat.

Sie arbeiteten in den 70er in der griechischen Sendung des Bayrischen Rundfunks, die leider seit 2003 nicht mehr besteht. Welche waren damals die Inhalte dieser Sendungen?

Eideneier: 1964 begannen die Sendungen des Bayrischen Rundfunks „Ja tous Ellines tis Omospondiakis Dimokratias tis Germanias“ (für die Griechen der Bundsrepublik Deutschland). Die Stimme der Ansagerin schwirrt noch immer in meinem Kopf herum, sehr angenehm übrigens. Der unvergessene Pavlos Bakojiannis, der damit beauftragt wurde, die Sendung auf die Beine zu stellen, hat mich zu seiner Mitarbeiterin erkoren - es gab ja auch damals keine große Auswahl, außerdem hatte ich eine kleine Rundfunkerfahrung aus dem studentischen Rundfunk in Thessaloniki. So konnte ich ja parallel zu meinem Aufbaustudium auch ein bisschen Geld verdienen, denn die Stipendien dauern keine Ewigkeit! Ich war jeden Montag dran mit der Sendung: „Dimotiki Musiki kä tragudia“ (Volksmusik und Volkslieder). Es war eine sehr beliebte Sendung – noch heute lese ich bewegt die Briefe der Zuhörer, die im ganzen Programm, aber speziell in dieser Sendung ein Stück Heimat fanden, denn sie sprach ihre Erinnerungen aus ihrer Kultur an, welche sie Hals über Kopf und irgendwie ohne an die Folgen zu denken, verlassen hatten. Die nackte Not war primär und ungeheuer. Wer kümmerte sich dabei um Gefühle und Sehnsüchte! Aber auch die ausführlichen Nachrichten jeden Abend waren, vor allem in der Zeit der Junta (1967-1974), eine echte Überlebenshilfe, genau wie die wöchentlichen Kommentare des Geschehens, meistens von Bakojannis selbst verfasst; sie stärkten die demokratische Gesinnung der Zuhörer und ermunterten sie, nicht aufzugeben und zu widerstehen. Dann die Sendung „I musiki inä diethnis“ (Die Musik ist international): jeden Mittwoch, eine echte Oase in der Wüste der namenlosen Fabrikarbeit, etwas für die Seele. Und die Fußballsendungen von Asimakis: Über jeden Drittligisten, jeden lokalen Verein der entferntesten Dörfer wurde berichtet; was glauben Sie, wie wichtig das alles war! Die kirchlichen Samstagspredigten durften auch nicht fehlen, sowie auch nicht die Sendungen für die Kleinsten. Lebenswichtige Ratschläge für die Arbeitsverhältnisse hier und für die bürokratischen Angelegenheiten in Deutschland wie in Griechenland von Jorgos Matzuranis, Briefe, die ausführlich beantwortet werden wollten, und nicht zuletzt der Deutschunterricht: Ta germanika den inä kä toso dyskola (Deutsch ist gar nicht so schwer). Ohne diese Sendungen – ich bin davon überzeugt – hätten nicht nur die Griechen, sondern alle „Gastarbeiter“ damals es viel schwerer gehabt, vielleicht sogar unerträglich schwer.

Warum gibt es in Deutschland keine Fernsehe- oder Radiosendung, die auf Deutsch untertitelt, in der jeweiligen Sprache der ca. 7 Mio. Migranten ausgestrahlt wird?

Eideneier: Oh, diese Frage sollten Sie besser den Radio- und Fernsehmachern stellen, es ist übrigens eine fantastische Idee, finde ich. Auch viele Deutsche hätten davon profitieren können, denn diejenigen, die griechisch lernen wollen und deren Zahl immer noch sehr beachtlich ist, hätten eine große Hilfe dabei. Gleichzeitig hätten sie sehr viel und sehr Originelles auf angenehme Weise von und über Griechenland erfahren können, anstatt sich auf diffuse bis böswillige Berichte der Medien verlassen zu müssen. Dasselbe gilt natürlich für alle Sprachen der Anwerbeländer. Aber in der Zeit der grenzenlosen Globalisierung ist das Interesse dafür und die Bereitschaft zu solchen Schritten, so fürchte ich, wenig bis minimal.

Deutsche Verlage publizierten in den 90er, aber auch heute nur wenige Werke von griechischen Literaten. Welche sind die Gründe hierfür? Ist die griechische Literatur zu provinziell oder gar traditionsgebunden, so dass das Desinteresse eines weltoffenen Landes wie Deutschland gerechtfertigt ist?

Eideneier: Das ist ein recht viel diskutiertes Problem. Ich könnte Bücher darüber schreiben und erzählen. Nein, ich bin davon überzeugt, dass nicht die angeblich „provinzielle“ und „traditionsgebundene“ griechische Literatur daran schuld ist. Um solch ein Prädikat der Literatur eines Landes zu verleihen, muss man erst diese Literatur kennen. Und damit meine ich nicht nur einige Bestseller oder zufällig bekannt gewordene Titel. Unsere neuere Literaturgeschichte hat eine Menge hochinteressante Werke von der Qualität einer „Weltliteratur“ aufzuweisen und zwar von schon sehr frühen Zeiten, seit der Entstehung unseres doch relativ jungen Staates. Ganz allmählich werden solche Entdeckungen auch im deutschsprachigen Verlagswesen gemacht; erst vor ein paar Wochen sind z. B. die wunderbaren Erzählungen eines Emmanuil Roidis (1836-1904) erschienen. Großes Kompliment dem Manesse Verlag dafür. Die Meinung, die man oft auch von ernsthaften griechischen Kritikern hört, die Thematik sei nämlich der Hinderungsgrund, warum nicht viele deutsche Verleger griechische Literatur in ihre Programme aufnehmen, dass sie immer außerhalb der in Europa und in der Welt aktuellen Strömungen sei – ich würde „Mode“ sagen – ist m.E. nur vorgeschoben. Jeder Schriftsteller hat unabhängig von seiner Thematik und seiner Nationalität doch eine eigene Art, sich den Dingen zu nähern. Er bringt seine Persönlichkeit, seine Umwelt, seine Geschichtsauffassung mit hinein, und je nach seiner künstlerischen Fähigkeit gibt er dem Werk die notwendige Aktualität, die nicht in Zeiträumen vergeht. Das macht doch die Besonderheit in der weltweiten Literatur aus, und nicht solche Bezeichnungen, die sowieso irrelevant sind, weil wir nicht wissen, wer sie erfindet und warum. Aber die Wahl eines literarischen Titels von einem fremden Verleger (er wird für gewöhnlich von der angelsächsischen Literatur überschwemmt) und die Art, wie er seine eventuelle Wahl begründen würde, d.h. wie er dafür wirbt, hängt von anderen Voraussetzungen ab: Hat er das Werk selbst, bzw. sein Lektor gelesen (die griechische Literatur wird im allgemeinen den so genannten „Kleinen Sprachen“ zugeordnet), wer hat ihm diesen Titel empfohlen, mit welchen Argumenten (das Problem der literarischen Agenten) und mit welcher Unterstützung sollte er das Werk herausgeben (s. die übersetzungsfördernden Programme eines Landes, die in Griechenland einen Mond lang funktionierten und seit 2001 spurlos verschwunden sind!). Ihn interessiert herzlich wenig die Nationalität eines Werks, denn er ist in der Regel ein „Händler“ und möchte nur solche Bücher machen, die ihn wenig kosten und viele Einnahmen versprechen. Nein, die Verleger im Allgemeinen und die deutschen insbesondere interessieren sich bei der weltweiten Überproduktion nicht für irgendwelche „nationale Literatur“, es sei denn, das Ursprungsland verfügt über eine starke Lobby, wie eben die angelsächsische – sprich die amerikanische. Andererseits sprechen wir, die Optimisten, noch immer für den Erhalt, innerhalb des Vereinten Europa z.B., der Polyphonie und der Mentalitäten der verschiedenen Mitgliedsländer, was natürlich nicht nur die Sprache anbetrifft, sondern auch und vor allem die Inhalte, welche nichts besser erhellt und transferiert als die Literatur.

Literaturübersetzer vermitteln zwischen zwei Kulturen, die sie selber, zumindest sprachlich, sehr gut kennen. Sie tragen somit dazu bei, das Fremde als eigene zu empfinden. War dies eines der Gründe, weshalb Sie Literaturübersetzerin wurden?

Eideneier: Zunächst wollte ich den Damm der Unkenntnis der Deutschen, das neue Griechenland betreffend einreißen helfen. In den siebziger Jahren und vor allem nach der Beseitigung der Militärdiktatur in Griechenland schien so etwas möglich. Negative Ereignisse, wie die Annullierung der Demokratie damals, oder die Krise heute, wecken das Interesse eines Landes für ein anderes, zumal hier die Präsenz der Griechen zunächst als einfache Arbeitskräfte schon positiv bemerkt wurde. Und ich verfügte dafür über keine anderen Mittel als die Literatur, und zwar die zeitgenössische, mehr oder weniger der altgriechischen lieben und beliebten Last entblößt. Ich war damals, 1974, von Köln aus, wohin wir gezogen sind, nachdem mein Mann an der hiesigen Universität seine erste Stelle als Lektor für Neugriechisch bekam, an der Universität von Frankfurt als beauftragte Lektorin ebenfalls für Neugriechisch tätig. Meinen Studenten versuchte ich neben den Sprachkenntnissen auch meine „andere“ Liebe für mein Land, seine Kultur und Literatur zu vermitteln. So hatten wir außerhalb der Regelsprachkurse einen freiwilligen Übersetzerkreis gebildet mit großen Erfolgen – wir hatten damals immerhin zwei Gedichtsammlungen von Jannis Ritsos in diesen „kollektiven“ Übersetzungen bei zwei Verlagen untergebracht! Ich war also zunächst nicht die Übersetzerin, sondern die interpretierende und konsultierende Übersetzerhelferin. Als später das verlegerische Interesse an griechischer Literatur völlig verschwand und sich kein Mensch mehr dafür interessierte, z.B. für so ein ausgezeichnetes Buch wie „Das Doppelte Buch“ von Dimitris Chatzis, das direkt auch mit den Griechen in Deutschland zu tun hatte, haben mein Mann und ich uns gezwungen gesehen, selbst einen Verlag zu gründen. So habe ich neben der anderen Tätigkeiten eines Verlegers – die ich nicht kannte und erst langsam habe lernen müssen -, auch die Übersetzung gepflegt, deren Eigenschaften für mich „entdeckt“ und mich daran gewagt. Ja, ich war langsam aber sicher in beiden Welten „zuhause“, obwohl das ein zu großes Wort ist. Was mich aber am meisten faszinierte, war und ist die Erkenntnis, dass man ein Werk, das man schätzt und liebt, am besten ergründet, versteht und interpretiert, wenn man es übersetzt. Übersetzung also zum eigenen „Nutzen“, wenn Sie so wollen. Dasselbe fühlt man übrigens auch beim intensiven Lektorieren, d.h. beim Vergleichen der Übersetzung mit dem Original (eine weitere intensive Kennerin und „Täterin“ in diesem Bereich, Frau Dr. Danae Coulmas, spricht vom üblichen „blinden Lektor“, der meistens ohne Kenntnis des Griechischen an eine Übersetzung ins Deutsche gesetzt wird!) und den nachfolgenden Gesprächen mit dem Übersetzer. Das ist meine liebste Tätigkeit im Literaturbetrieb, und das unabhängig davon, ob es sich um eine Übersetzung für den eigenen Verlag handelt.

Der Romisoni Verlag ist also aus einem Kreis von Griechenlandfreunden entstanden. Sagen Sie uns etwas mehr über diesen Personenkreis und wie sich dieser geformt hatte?

Eideneier: Wie bereits erwähnt, am Anfang war die Übersetzung. Einen entsprechenden Kreis der Freiwilligen hatte mein Mann auch in Köln gegründet hauptsächlich mit seinen Studenten der Sprache und der Literatur. Sie übersetzten zunächst (1980-81) Theaterstücke, auch so eine vernachlässigte Literaturgattung. Das hatte insofern Erfolg gehabt, als aus den „Zwölf neugriechischen Einaktern“, die dann von einem Kursteilnehmer, der Buchhändler war, unserem späteren engen Freund und "Kumparos" Klaus Eckhardt, auch als Werkbuch erschienen ist, einige schöne Stücke an renommierten Bühnen gespielt wurden. Dafür aber war auch nötig und möglich der intensive Einsatz der neu gegründeten „Initiativgruppe Griechische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“ kurz POP genannt (Politistiki Omada Protovulias), mit Motor den damals in Frankfurt lebenden Freund Sakis Porichis. Die Mitglieder waren zunächst aus den zwei Übersetzerkreisen entsprungen, später hat sich die Gruppe sehr erweitert, und die POP lebt und wirkt heute noch. Aus allen diesen Bereichen und Aktivitäten wurde die Idee geboren, einen neuen Verlag ins Leben zu rufen, der Griechenland und seine Literatur und Kultur zum einzigen Programm haben sollte. Alle wollten helfen, und sie haben geholfen mit Protagonisten unseren Buchhändlerfreund. Ohne ihn und seine Kompetenz hätte es keine „Romiosini“ gegeben und natürlich nicht ohne meinen Mann, der nicht nur seine Kraft, seine Kenntnisse, seinen Ruf, seinen Professortitel, sondern last but not least das Geld für die Gründung und den Fortbestand sicherte. Unser langjähriger Drucker nennt ihn unseren „Finanzminister“! Ich wurde für die Aufgabe der Gründung, des Inhalts und des Alltags bestimmt, ich bin sozusagen dazu gekommen „wie die Jungfrau zum Kind“. Aber ich bin darin gewachsen, und zusammen mit mir sind auch die Aufgaben ins Unendliche gewachsen; die reichen heute bis zur Erschöpfung.

Warum müssen wir im vereinten Europa die Literaturen und die Sprachen der einzelnen Länder weiterpflegen?

Eideneier: Ich habe schon vorher erwähnt, dass nicht nur ich, sondern jeder denkende Mensch für die Pluralität der Gesellschaft plädiert und sich dafür engagiert. Die Vielstimmigkeit und die Vielfalt garantiert nicht nur die Würde des einzelnen Menschen und seines Herkunftslandes, sondern sie schafft und fördert die gegenseitige Achtung voreinander, die einzige stabile Basis für den Frieden. Und ich glaube und plädiere seit Jahren dafür mit dem Spruch „lernt das Land durch seine Literatur kennen“, womit ich genau das Gegenteil des Tourismus meine: Es geht um ein tiefes Kennenlernen, ohne Stereotypen und Klischees, ohne Vorurteile, nicht böswillig wie die Bildzeitung, sondern verständnisvoll, was nicht heißt, dass man mit konstruktiver Kritik sparen soll. Ich werde es nicht vergessen, mit welchem Argwohn meine Studenten damals mich ansahen, als ich sie auch auf Missstände in Griechenland aufmerksam machen und sie aufklären wollte, als wollten sie sagen „mach uns doch nicht unser Griechenlandbild kaputt“! Nicht kaputt, sondern ins rechte Licht wollte ich das Land rücken und eine Diskussion in Gang setzen, um zu ergründen, worauf die Missstände zurückzuführen seien und wie man sie beseitigen könne.

Die Literatur gewährt uns tiefe Einblicke im Innenleben der Menschen, die in einem reellen oder fiktiven Lebensraum wirken. Aufgrund der modernen Kommunikations- und Transportmitteln ist die geographische Entfernung zwischen den einzelnen Ländern geschrumpft, aber es scheint, dass wir Europäer das „Innenleben der Menschen“ im jeweiligen Land nicht gut kennen. Teilen Sie diese Ansicht?

Eideneier: Ja, insofern diese Medien, wie üblicherweise, oberflächlich bleiben. Aber es gibt auch gute Rundfunk- und Fernsehsendungen, Lesungen, Buchkritiken dort, sogar tolle Literaturverfilmungen, die bestimmt auch das Lesen fördern und die im kulturpolitisch - historischen und auch speziell im literarischen Bereich sich ausgezeichnet bewährt haben. Es kommt immer auf die Macher und natürlich auf die Auftraggeber an. Genauso wie es gute, fast literarische Krimis gibt sowohl, als auch unerträglich doofe und Gewalt preisende, angeblich im Sinne unserer Realität. Die neuen Möglichkeiten der Kommunikation sind für mich nicht leicht einzuordnen. Das gedruckte Wort ist dem „getippten“ gewichen, aber das fördert vielleicht auch die Neugier. Es kommt wieder darauf an, wie diese neuen Möglichkeiten genutzt werden. Es fehlt mal wieder an Aufklärung und Bildung, die es zwar reichlich fürs Praktische gibt, wie man am besten diese Medien benutzen kann, aber absolut nicht fürs Inhaltliche. Diese Medien sind nicht als „Mittel“ eingesetzt, sondern als absoluter Zweck. Was dann das schnelle und erschwingliche Reisen anbetrifft: in ein paar Wochenenden die Welt kennen lernen, oder ein paar Stunden in Athen gewesen sein und in einer Sendung das ganze Griechenland portraitieren, na ja, die Ergebnisse sehen wir täglich. Schnelllebig das meiste und keine Zeit auch durch die ungeheure Menge an – oberflächlicher - Information, sie zu verarbeiten und zu verifizieren.

Die meisten griechischen Einwanderer in Deutschland stammten aus einfachen Verhältnissen, waren Arbeiter, die sich kaum für Literatur interessierten, geschweige denn selber literarische Werke aktiv produzierten. Gehen die Geschichten der Menschen der ersten Generation verloren, weil es keine Feder gibt, die sie niederschreibt?

Eideneier: Nein, das stimmt überhaupt nicht. Erstens hat auch diese erste Generation der Migranten einige literarische Zeugen aus der eigenen Reihe hervorgebracht und zweitens, es sind massiv ihre direkten Nachkommen aufgetreten, die so genannte Zweite Generation, die mit zahlreichen Vertretern literarisch in Erscheinung getreten ist, die sich auch an die Geschichte ihrer Eltern und deren Verhältnisse heranmachte, weil sie ihre Wurzeln sind. Allerdings schreiben sie nicht im Sinne einer Chronik, sondern sensibel und behutsam, mit tiefenpsychologischen Erkenntnissen und in verschiedenen literarischen Formen erzählend. So haben sie eine wertvolle Gruppe gebildet, unentbehrlich inzwischen sowohl in der deutschen literarischen Szene als euch in der griechischen, egal in welcher der beiden Sprachen ihre Werke zunächst erscheinen. Es gibt schließlich die Übersetzer, die zumeist aus denselben Kreisen entspringen. Ich möchte hier keine Namen nennen, das wäre ungerecht, aber es gibt nun inzwischen „Die Gesellschaft der Griechischen AutorInnen in Deutschland“, die auch portraitiert zu werden sich sehr lohnen würde.

Wie geht es beim Romiosini Verlag weiter? Wird es eine Nach-Eideneier-Ära geben?

Eideneier: Oh je. Sie sprechen jetzt eine schmerzhafte Geschichte an. Ich bin inzwischen in einem Alter gelangt, in dem ich dringend das Staffelholz jüngeren und fähigeren Menschen weitergeben muss. Ich bemühe mich seit längerem, diese Menschen zu finden. Das ist nicht einfach, weil ich niemandem Gewinn dabei verheißen kann – außer dem virtuellen natürlich, von dem ich 28 Jahre lang selbst profitiert habe und der nicht zu verachten ist. Aber ich habe dabei vom Gehalt meines Mannes gelebt, und nicht ganz schlecht. Die Jüngeren aber wollen und müssen davon leben, und das ist nicht ohne weiteres möglich. Also braucht es noch mehr Einsatz und auch große Hilfen, die eigentlich von unserer Kulturpolitik zu erwarten wären! Aber wie… und wie gerade heute! Oder ja, gerade heute. Griechenland ist z. Z. in aller Munde. Leider nicht im positiven Sinne. Was könnte effektiver sein als die griechische Literatur, die sich bereits mit dem griechischen Heute auseinandersetzt, während sie das griechische Gestern mit einbezieht? Die Musik, die Lieder haben schon damit angefangen. Der Film, die Fotografie, die Bildende Kunst, das neueste Theater auch. Die Literatur braucht, wie es scheint, etwas länger. Aber sie kommt, ganz bestimmt!
                                                                                                                                      ■ Das Interview führte Kyro Ponte im Mai 2010

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